Sie punkten traditionell mit Technologievielfalt und Innovation, die auch in Ihrer Strategie eine ganz wichtige Rolle spielen. Was tut sich in diesem Bereich aktuell?
Heiko Gabbert: Technologievielfalt ist und bleibt ein zentraler Erfolgsfaktor für POLYTEC, denn auf dieser Basis können wir Projekte bearbeiten, die die Möglichkeiten der meisten unserer Mitbewerber übersteigen. Hier punkten wir mit der Kombination unterschiedlicher Technologien, Materialweiterentwicklung sowie Funktionsintegration und konzentrieren uns nach Kräften auf zukunftsfähige Konzepte. Ein Beispiel dafür sind Unterbodenverkleidungen für E-Fahrzeuge, bei denen Batteriemodul und Fahrzeugunterboden einfach miteinander verschmelzen – das spart Teile und führt damit auch zu einer Gewichtsreduktion. In der Umsetzung derartiger Projekte setzen wir stark auf Eigeninitiative und gehen auch ins Risiko, Kundennutzen und Vermarktungsfähigkeit natürlich vorausgesetzt. Das wird von unseren Kunden sehr geschätzt.
Peter Bernscher: Mittlerweile haben wir drei zentrale Engineering-Streams definiert und auch gut auf den Weg gebracht. Sie bearbeiten die aus unserer Sicht wichtigsten, auch über die einzelnen Product Lines hinweg wirksamen Themen: Dies sind zum einen Hochvoltbatterie-Gehäuse als unsere Gesamtantwort auf die Elektrifizierung des Antriebsstrangs von Fahrzeugen. Der zweite Stream betrifft die Entwicklung von Hochleistungsmaterialien und die Simulation ihrer Charakteristika. Das ist eine zentrale Voraussetzung für die Auslegung von Hybrid-Strukturbauteilen, weil wir dazu einen 360-Grad-Überblick über die Leistungsfähigkeit der Materialien benötigen. Und der dritte Stream beschäftigt sich mit der Nachhaltigkeit von Produkten, von Materialauswahl und -verbrauch über die Produktionsweise bis hin zum Recycling. All das muss bereits in der Entwicklung berücksichtigt und für die gesamte Produktionskette übergreifend konzipiert werden. Für alle drei Streams gibt es klare Roadmaps und Meilensteine, denn wir wollen die Ergebnisse möglichst schnell zum Kunden bringen. Daneben verfolgen wir aber natürlich noch diverse kleinere Vorentwicklungsprojekte.
Und welche Rolle spielt E-Mobility?
Peter Bernscher: Eine wesentliche, denn Elektromobilität ist ein starker Trend – wenn nicht gar ein Paradigmenwechsel – mit hohem Potenzial für uns, genauso wie der vorhin angesprochene Bereich New Mobility. Deshalb betrachten wir E-Mobility als große Chance. Teile, die direkt mit Verbrennungsmotoren verknüpft sind, machen heute nur mehr etwa 20 Prozent unseres Portfolios aus – bis 2025 wird ihr Anteil auf 7 bis 8 Prozent zurückgehen und durch andere Produkte ersetzt werden. E-Autos beinhalten übrigens viele Teile, die ähnlich sind wie bei konventionellen Fahrzeugen, die beherrschen wir natürlich aus unserer Historie heraus. Wichtige Beispiele dafür sind das Wärme- und Kältemanagement, Akustikkomponenten oder Unterböden. Ein weiteres Plus: Leichtbau ist bei E-Autos angesichts der Reichweite besonders wichtig. Hier übertragen wir bewährte Lösungen einfach in eine neue Sparte und können damit unsere Technologie und unser Wissen nutzbringend einsetzen.
Ähnliches gilt für New Mobility. Dieses Segment ist übrigens auch dadurch interessant, dass mit den geringeren Geschwindigkeiten auch andere Anforderungen an die Teile gelten, das bietet natürlich die Chance, den Kunststoffanteil insgesamt zu erhöhen. Die in Summe geringeren Stückzahlen, gepaart mit einer zum Teil höheren Individualisierung, können wir mit unseren Technologien gut bewältigen.
Wie sieht es im Bereich Non-Automotive aus?
Peter Bernscher: Wie vorhin schon erwähnt, haben wir durch die Forcierung der Produktlinie Smart Plastic Applications den richtigen Pfad eingeschlagen, denn genau dieser Bereich hat sogar im schwierigen Jahr 2021 deutlich zugelegt. Für uns stehen hier zwei Themen im Vordergrund: Energiespeicherung und -abgabe einerseits sowie Logistik andererseits – beides Bereiche mit starker Wachstumsdynamik. So sind sowohl Speichermodule als auch Ladeinfrastruktur angesichts des Vormarsches der dezentralen Energieerzeugung und der E-Mobilität sehr gefragt, und in beiden Feldern können wir mit innovativen Kunststofflösungen punkten. Dasselbe gilt für den Bereich Logistik, denn angesichts einer immer individueller, flexibler und näher am Konsumenten agierenden Wirtschaft braucht es jede Menge neuer Logistiklösungen, um Produkte rasch und effizient zum Kunden zu bringen. Auch hier ist Kunststoff oft das Material der Wahl, wenn es um leichte und wiederverwendbare Gebinde geht. Doch wir sind auch außerhalb dieser zwei Bereiche offen für Produktideen, die wirtschaftliches und innovatives Potenzial haben. In Summe rechnen wir bei Smart Plastic Applications über einen Zyklus von fünf Jahren mit einer Umsatzsteigerung von bis zu 40 Prozent.
Wie wird sich der Markt aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren entwickeln – auch vor dem Hintergrund der Situation in der Ukraine?
Peter Bernscher: Vor der Invasion in der Ukraine war eine Aufwärtswelle bei den Abrufen zu verspüren, die auf eine weiterhin solide Nachfrage im Automobilmarkt schließen ließ. Auch bei Mikrochips war eine gewisse Entspannung festzustellen. Auf dieser Basis waren wir sehr zuversichtlich, wieder auf ein vertretbares Absatzniveau zu kommen. Dies hat sich mit der Ukrainekrise nun wieder relativiert, hinzu kommt die anhaltende Unsicherheit im Zusammenhang mit Corona. Das Fazit daraus lautet: Wir werden auf Monate und womöglich Jahre hinaus mit größerer Ungewissheit leben müssen, deshalb ergeben Prognosen wenig Sinn.
Ein Lichtblick ist bei alldem, dass die Auftragsbücher der Automobilindustrie voll sind: Die Bestellungen sind so hoch wie schon seit vielen Jahren nicht, bei PKW ebenso wie bei Nutzfahrzeugen. Noch nie hatten wir so lange Lieferzeiten und einen derart hohen Produktionsrückstau bereits verkaufter Fahrzeuge. Das bedeutet: Sobald sich die Verhältnisse einigermaßen stabilisieren, ist mit hohen Stückzahlen zu rechnen.
Das Thema Nachhaltigkeit bzw. ESG wurde bei POLYTEC im vergangenen Jahr – auch organisatorisch – noch stärker verankert.
Markus Huemer: Wir bearbeiten dieses Thema ja schon seit Jahren intensiv, nun haben wir seine Bedeutung auch strukturell noch deutlicher betont. Und da unsere Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf den Personal- und den Ressourceneinsatz im operativen Bereich am größten sind, haben wir es auf Vorstandsebene Heiko Gabbert zugeordnet. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass wir Nachhaltigkeit rein auf Operations bezogen betrachten, sondern wesentlich breiter. Tief verankert ist das Konzept z. B. auch in unserer Entwicklungsstrategie.
Welche Aspekte stehen hier im Vordergrund, wo liegen Ihre Ziele?
Heiko Gabbert: Hinter der neuen Positionierung stehen drei Motive bzw. Anliegen: Zum einen gewinnen Aspekte wie CO2-Ausstoß, Materialauswahl, Verarbeitungsmethoden und Recyclingfähigkeit zunehmend an Bedeutung für unsere Kunden, die daher verstärkt entsprechende Maßnahmen, Nachweise und auch Ratings von uns einfordern. Ein weiterer wichtiger Impuls ist – im Rahmen des Green Deal der EU – die EU-Taxonomie-Verordnung, die von uns eine transparente und konsistente Berichterstattung zu verschiedenen Parametern verlangt. Als Teil der Kunststoffindustrie finden wir uns hier gut wieder und können schon heute einen Anteil von rund 30 Prozent Taxonomiefähigkeit bei Umsatz, CapEx und OpEx nachweisen, wollen das aber natürlich sehr strukturiert angehen. Und last, but not least ist es uns selbst seit Jahren ein Anliegen, unseren CO2-Footprint zu reduzieren – eine Fülle von Energiespar-, aber auch Recyclingmaßnahmen zeugt davon. Langfristiges Ziel ist eine CO2-neutrale Produktion, auf die wir mit realistischen Maßnahmen und Zwischenzielen hinarbeiten. Denn wir möchten Nachhaltigkeit tatsächlich leben und kein Greenwashing betreiben.